Gefährliches Heldentum

 

Kommentar zur Debatte um die Morde im Grazer Gymnasium
Dr.in Christine Baur (Juristin, Mediatorin)

Mag. Jürgen Allgäuer (Gewaltberater, Erziehungswissenschafter)
Juni 2025

 

Gefährliches Heldentum

Über die Morde am Grazer Gymnasium wird viel diskutiert, Erklärungen werden gesucht. Dabei erfährt die offensichtlichste Gemeinsamkeit von sogenannten „Amokläufern“ wenig Beachtung: 98 Prozent der Täter sind männlich.

Macht und Verletzlichkeit gehören beide untrennbar zum Mensch-Sein. Doch gängige Männlichkeitsideale vermitteln ein völlig unrealistisches Bild. Noch immer zeigen Männer ihre Verletzlichkeit nur in seltenen Ausnahmesituationen. Verletzt zu werden ist schlimm genug. Damit scheinbar(!) auch noch als Mann versagt zu haben ist unerträglich. Ca. zwei Drittel der Opfer von körperlicher Gewalt sind männlich. Diese Realität wird von Männern versteckt, sie passt nicht ins Geschlechterbild.

Jungs orientieren sich an dieser Rollenvorgabe. Sie lernen, die eigenen Empfindungen systematisch zu unterdrücken. Dafür werden sie sozial belohnt, die emotionale Abstinenz von Burschen wird als cool etikettiert. Durch das Verherrlichen und Bagatellisieren von Grenzüberschreitungen im Alltag lernen Burschen, dass sie sich mit Gewalt zu Helden machen. Scheinbar mutig, in Wirklichkeit überfordert und hilflos. Lieber gewalttätig als unmännlich (nach Joachim Lempert).

Wer die eigenen Gefühle abspalten muss, hat keine Orientierung in Krisenzeiten. Es fehlt schlichtweg das Werkzeug, um Verletzungen oder Traumata zu bewältigen. Das kollektive Leugnen von Ohnmacht verwehrt es zudem, sich Unterstützung zu organisieren. Verstecken und Verheimlichen lösen keine Krise, sondern machen einsam und schieben Angst und Trauer in den seelischen Keller. Dort wachsen und gären sie weiter vor sich hin. Innen steigt der Druck, nach außen „passt scho“.

Männlichkeitsnormen prägen so das individuelle Erleben. Um sie jedoch in ihrer Bedeutung und Wirkung zu verstehen, braucht es den Blick auf Geschlecht als eine soziale Kategorie, die sich innerhalb der gesellschaftlichen Verhältnisse ausformt.  Patriarchale Machtstrukturen  beruhen auf der systematischen Ausbeutung von Ressourcen - menschlicher, wirtschaftlicher und ökologischer.  Selbstentfremdung und Verachtung bilden integrale Bestandteile dieser Männlichkeitsvorstellungen. Die Entwertungen richten sich gegen Frauen, gegen Männer, die sich trauen ihre Empfindungen zu zeigen, und konsequenterweise gegen jene, die sich nicht eindeutig ins Mann/Frau-Schema einpassen lassen.

Aus der Praxis der Gewaltberatung wissen wir wie gelernt werden kann, gewalttätiges Verhalten zu beenden. Die Chancen für die Veränderung des Einzelnen steigen, wenn Gewalttaten und Kriegstreiberei keine öffentliche Bewunderung mehr erfahren. Die Scham muss die Seiten wechseln (Gisèle Pelicot) – auch im Bewerten von Gewalt im Alltag.

Es braucht das Engagement von Vielen, um Konflikte gewaltfrei zu lösen.
Die Mehrheiten dafür gibt es längst - bei allen Geschlechtern.